Ukraine

„Wozu sind Kriege da?“ So betitelte Udo Lindenberg seinen Song aus dem Jahre 1981, den er im Duett mit dem zehnjährigen Pascal Kravetz sang. Wozu sind Kriege da, diese Frage stellten sich auch die Mädchen und Jungen unserer Schule im letzten Vierteljahr häufig. Mit der blau-gelben Händeaktion wollten sie an das endlose Leid der Menschen, vor allem der Kinder, im Ukrainekrieg erinnern und ihre Solidarität mit ihnen bekunden.

Lindenbergs Liedtext erzählt die Geschichte eines Kindes, das auf die Frage nach dem Zweck von Kriegen keine Antwort bekommt, um am Schluss resigniert feststellen muss: „Ich bin wohl noch zu klein. Ich bin ja noch ein Kind.“ Mit dem Lied wollte Lindenberg einst einen Beitrag zur Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss leisten, der vor dem Hintergrund des Kalten Krieges entstand. 40 Jahre später findet ein grausamer Krieg auf unserem Kontinent statt, von dem noch niemand weiß, wie er enden wird. Zweidrittel der Deutschen haben laut einer aktuellen Umfrage große Angst, dass wir in den Konflikt hineingezogen werden könnten.

„Der Krieg macht Kinder zu menschlichem Treibgut. Er vertreibt sie von ihrem Zuhause, zerstört Schulen und Gesundheitszentren, entreißt ihnen die schützende Umgebung,“ so das Kinderhilfswerk Unicef, das in der Ukraine im Einsatz ist. Auch nach dem Ende eines Konflikts litten sie oft noch jahrelang unter den seelischen Wunden, der schlechten Versorgung und fehlenden Perspektiven.

Die Dimensionen dieses Krieges sind selbst für erfahrene Expert*innen rational nur schwer zu erfassen: Etwa zwei Drittel der ukrainischen Kinder sind auf der Flucht. Wie viele Gewalt sehen, erleben, selbst erfahren – dazu gibt es kaum belastbare Zahlen. "Die Situation für die Kinder ist dramatisch", sagt Michaela Bauer, stellvertretende Leiterin von UNICEF Ukraine. "Es fehlt an allem. Besonders Familien mit Kindern auf der Flucht brauchen dringend Wasser, Nahrung und medizinische Hilfe."

426 Millionen Kinder weltweit leben derzeit in einem Kriegs- oder Konfliktgebiet. Das sind fast doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Rund 27 Millionen Kinder können aufgrund der bewaffneten Kämpfe nicht zur Schule gehen. In mehr als 25 Staaten der Erde gibt es derzeit Kriege oder bewaffnete Konflikte. In den heutigen Kriegen sind die meisten Opfer - anders als noch Anfang des 20. Jahrhunderts - Zivilisten.

426 Millionen Kinder: Hinter dieser mächtigen Zahl stecken einzelne Schicksale, die nicht das Glück hatten, im Frieden aufwachsen zu können. Zwei Wochen lang zeichnet die bekannte ukrainische Sanitäterin Julija Pajewska, die sich auch „Paira“ nennt, ihren Arbeitsalltag in Mariupol mit einer Helmkamera auf. Die Leistungssportlerin versorgte freiwillig in Mariupol Zivilisten und Soldaten beider Kriegsparteien. Trotz starker Schmerzen, verursacht durch ihre zwei künstlichen Hüften, setzte sie sich unermüdlich für ihre Patienten ein.

Sie sagt: „Wir behandeln alle gleich. Es spielt keine Rolle, woher die Verwundeten kommen.“ Erschütternd ist eine Aufnahme, die entstand, nachdem ein Junge und ein Mädchen schwer verletzt in ihre provisorischen Behandlungsräume eingeliefert wurden. Die Eltern sind tot, sie wollten mit ihren Kindern aus der Stadt fliehen und wurden an einem Kontrollpunkt beschossen. Der Junge stirbt unter ihren Händen und Pajewska wendet sich weinend ab. "Ich hasse diesen Krieg", sagt sie. Kurze Zeit später wird sie von russischen Soldaten gefangen genommen. Seither fehlt von ihr jedes Lebenszeichen.

Johannes Vesper