DirnenliedSie legt am Abend mehr Bühnenkilometer zurück als Otto Waalkes in seiner Glanzzeit. Das Publikum ist in den 90 Minuten lang permanent gefordert. Wenn Lisa Hanöffner ihr Solostück „Dirnenlied“ temperament- und schwungvoll in Szene setzt, fühlt man sich in die Welt von Heinrich Manns „Professor Unrat“ hineinversetzt. Deutschlehrkräfte unserer Schule nutzten im Rahmen einer schulinternen Lehrerfortbildung den Besuch in der Oberndorfer Kleinkunstbühne „Main Bar“, um in die kleine, aber feine Welt des Kabaretts einzutauchen. Die nächste Aufführung des Stücks ist am 9. März um 19.30 Uhr.

Heinrich Mann lieferte mit „Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen“ von 1905 die Romanvorlage zum Film „Der Blaue Engel“ mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle. Der Film entstand am Ende der Goldenen Zwanziger, eine Blütezeit von Kunst, Kultur und Wissenschaft ging in Deutschland zu Ende. Genau in dieser Zeit spielt auch das „Dirnenlied“ mit Lisa Hanöffner als Karla von Stelzenbül in der Hautrolle.

In ihrer Rolle als adoptierte Adlige fühlt sich Karla sichtlich wohl. Sie genießt das Lebensgefühl der zwanziger Jahre und verkehrt in den besten Kreisen von Zehlendorf mitten in Berlin. Sie geht ins Theater und frönt den alkoholischen Genüssen in vollen Zügen. So könnte das unbeschwerte Leben immer weiter gehen. Bis ihre Freundin Käthe die Theaterkulisse nutzt, um einen skandalumwitterten Nackttanz aufzuführen. Käthe verschwindet daraufhin und Karlas Welt gerät arg ins Wanken.

Skandalumwittert war auch der Auftritt des strengen Professors Rath im Etablissement "Der Blaue Engel". Er will herausfinden, warum sich seine Schüler so sehr für die Dame Lola Lola interessieren. Nachdem sie ihm viel Bein gezeigt und "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" gesungen hat, weiß er es. Fasziniert und verwirrt folgt er Lola in die Garderobe – und wacht er morgens in ihrem Bett auf. Die Schüler machen sich über ihn lustig. Als sich der Professor zu Lola bekennt, wird er entlassen. Die beiden heiraten. Nach vielen Irrungen und Wirrungen kehrt er zum Schluss in sein altes Klassenzimmer zurück und bricht tot am Katheder zusammen.

An Heinrich Manns Roman interessierte den Regisseur von Sternberg die Verführung und Unterwerfung eines unbescholtenen Bürgers durch eine verruchte Frau. Der Film wurde ein Porträt seiner Zeit und die Analyse einer Gesellschaft, die mit der Moderne nicht fertig wurde und sich nur zu willig einer Autorität untertänig machen sollte.

Zigarettenspitze und Bubikopf, dieses Bild sieht man vor sich, wenn man an die Frau der 20er Jahre denkt. Die lebenslustige Damen rauchten Nikotin und Opium, tranken Alkohol, trugen kurze Haare, Cocktailkleider ersetzten das Korsetts, man zeigte Bein bis zum Knie, tanzten durch die Nächte und flirteten ausgiebig mit Männern.

Ganz im Outfit der Stummfilmstars aus den 20er Jahre –ein bisschen verrucht, aber vor allem patent und lebenslustig. Wie so viele Frauen ihrer Zeit ist auch der Alltag von Karla geprägt von Emanzipation und Lebensfreude. Sie ist keine „feine Dame“, sondern der Typus der kessen und schnippischen Berliner Göre mit frechem Mundwerk. Schnoddrig und mit zahllosen Pointen gespickt kommt die doppelbödige Krimi-Komödie daher. Das Stück hat Witz und Lisa Hanöffner ist in diesem großen Monolog eine charmante und überzeugende Interpretin. Karla von Stelzenbühl steht ganz auf der Sonnenseite des Lebens, besitzt einen tollen Mercedes, der Ehegatte ist ein Inflationsgewinner.

Dass der seinen Reichtum nicht allein dem Holzhandel verdankt, sondern vielmehr fleischlichen Dingen – daher der Titel „Dirnenlied“- stellt sich dann im weiteren Verlaufe des Bühnen-Krimis heraus, der die ‚gute’ und reaktionäre Gesellschaft ironisch demaskiert. Der Text ist angereichert mit vielen hübschen und unterhaltsamen Gags. Im Vergleich zum tragischen Verlauf der Sternberg-Verfilmung ein Unterhaltungsstück der leichten Muse.  

Das Lockere, das Leichte, das Flapsige und die treffsichere Pointe stehen im Vordergrund. Auf obszöne oder frivole Anspielungen wird in diesem Stück gänzlich verzichtet. Hanöffner mag es, mit dem Publikum zu spielen und es direkt anzusprechen. Sie hat ein Schauspielstudium absolviert und ist seit über 10 Jahren als freiberufliche Regisseurin, Schauspielerin, Autorin und Coach tätig. Erfolgreich inszenierte sie innerhalb der letzten 10 Jahre zahlreiche Theaterstücke für verschiedene Bühnen und freie Theatergruppen.

Das Dirnenlied ist eine spezifische Liedgattung, deren Thematik um Leben oder Figur der Dirne und des Prostitutionsmilieus kreist und die insbesondere auf den Bühnen der Kabaretts und Cabarets im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zur Blüte gelangte. Das Genre wird aus dem Geist des französischen Naturalismus in den Cabarets des Montmartres geboren.

J. Vesper