Zwei Jahre war Frau Lang an unserer Schule. Mit Ende des Schuljahres wird sie uns wieder verlassen, um ihre Zelte in der österreichischen Landeshauptstadt aufzuschlagen. Dort wird sie an einem Wiener Gymnasium unterrichten, das von Mädchen und Jungen aus ganz unterschiedlichen Ländern besucht wird. Ihre Erfahrungen, die sie vor einigen Jahren als Lehrkraft an einer Schule in Indien sammeln konnte, dürften ihr hilfreich sein.

Dabei ist die Methode, die von einem Lehrerehepaar in Indien entwickelt wurde und dann nach Deutschland gelangte gerade mal zwei Jahrzehnte alt. Gestützt durch Lernleitern erwächst gemeinschaftliches Lernen und Lernen alleine, mit und ohne Begleitung durch die Lehrperson. Die Lernenden können so ihre Potentiale entfalten. Lernleitern sind Bestandteil der MultiGradeMultiLevel-Methodology (MGML), einer Methode für altersgemischtes (multigrade) und leistungsheterogenes (multilevel) Arbeiten.

Ausgangspunkt der MultiGradeMultiLevel-Methodology ist die Vorstellung eines lernerzentrierten, aktivitätsorientierten Unterrichts mit freien Arbeitsprozessen. Die Schülerinnen und Schüler selbst steuern mit Hilfe von Lernleitern ihren persönlichen Lernfortschritt.

Aus der indischen Grundkonzeption entstanden in Deutschland unterschiedliche Variationen, so zum Beispiel die Arbeit mit so genannten Kompetenzrastern, wie wir sie im Rahmen des „KOMPASS“-Schulversuchs kennen lernten. Auch hierbei geht es um individualisierte Lernprozesse. Der Schüler geht nach seinem ganz eigenen Lehrplan Schritt für Schritt voran und bewertet und reflektiert seinen persönlichen Lernfortschritt.

Mit Hilfe eines komplexen strukturierenden Verfahrens werden durch Lernleitern Unterrichtsinhalte für Lern- und Konstruktionsprozesse systematisiert und über Freiarbeitsmaterial in verschiedenen sozialen Arrangements angeboten. Das hört sich erst einmal sehr theoretisch an. In der Praxis bedeutet es viel Aufwand hinsichtlich der Vorbereitung für solch eine Lernform. Doch wenn der Unterricht einmal läuft, wird der Lehrer entlastet:  Die betreuenden Lehrkräfte werden von ihrer prozesssteuernden Aufgabe im herkömmlichen frontalen Unterricht weitestgehend befreit.

Zugleich wird die Tatsache von verschiedenen Lern- und Leistungsniveaus (MultiGradeMultiLevel) nicht als Hindernis oder Problem, sondern als Aufgabe und Chance angesehen. Die Methode antwortet nicht mit Bemühungen um eine vermeintliche Homogenisierung, sondern arbeitet konsequent an der Unterstützung der jeweils unterschiedlichen Levels und des individuellen Lernrhythmus´.

Jedes Kind kann nach seiner Lernrhythmus ohne Druck seine eigene Lernprogression adäquat gestalten. Der Unterricht bietet dabei ein inklusives, leistungs- und altersübergreifendes Lernen an. Alle vorfindbaren Leistungsstufen bleiben bei der MGML-Methodology bewusst einbezogen. Ausgangspunkt ist die Vorstellung eines aktivitätsorientierten, lebendigen Unterrichts mit freien Arbeitsprozessen. Die Kinder selbst leiten mit Hilfe der MGML-Methodology ihre Lernprozesse. Individuelles und gemeinsames Lernen in der Situation mit Partnern, Gruppen oder in der Gemeinschaft aller Schüler greifen dabei ineinander. Die Lern- und Bildungsaktivitäten werden in der MGML-Methodology durch einzelne Lernmaterialien angeregt. Auf den Lernmaterialien werden die Aktivitäten beschrieben. Jedes Material ist zur Systematisierung durch ein Symbol und eine Nummerierung gekennzeichnet.

Im Februar 2016 fand der erste MGML-Weltkongress in Indien statt. Organisiert wurde die Konferenz von den Universitäten Würzburg und Regensburg. In Indien werden derzeit etwa 10 Millionen Kinder auf diese Weise unterrichtet.

J. Vesper